„Borgward-Bilder erzählen“: Ausgabe 30

Am Rande eines großen Rennens

Das Foto stammt von einer Automobilia-Auktion, eines von vielen in einer gut gefüllten Plastikkiste, die kein System und erst recht keine Beschriftung kennt. Die Rückseite des Schwarz-Weiß-Abzugs trägt aber immerhin die Bildnummer 493/60 – und selbst die hilft weiter beim Versuch, das Bild erzählen zu lassen.

„Korso“ steht da auf einem Schildchen im Fenster des raren Isabella Coupé-Cabriolets, und statt des Kennzeichens trägt der Wagen eine Werbung des Stuttgarter Borgward-Händlers Weiss. Stuttgart-Kennern kommt wiederum der Aufnahmeort bekannt vor: Die Straße führt durchs Mahdental am Rande der Stadt, im Hintergrund sind volle Tribünen und das heute noch existierende Start-und-Ziel-Haus der Solitude-Rennstrecke zu erkennen. Und da gibt es im Jahr 1960 nur ein großes Rennen, nämlich den Großen Preis von Deutschland am 24. Juli. Rund 200 000 Besucher sind zur Solitude gekommen. Jim Clark siegt auf seinem Formel-Junior-Lotus und Wolfgang Graf Berghe von Trips auf Ferrari in der Formel 2. Zwischendurch rollen die Stuttgarter Automobil-Schaffenden werbewirksam an den Zuschauern vorbei – das muss sie sein, die Geschichte, die dieses Bild erzählt und damit jeden Automobil-Historiker neidisch macht auf den unbekannten Fotografen, der dabei sein darf. Denn Borgward, die Rennfahrer Trips und Clark und die großen Solitude-Rennen haben gemeinsam, die 1960er Jahre nicht zu überleben. Die junge Schwäbin auf dem Beifahrersitz der Isabella winkt zum Abschied, sie weiß es nur noch nicht.

Offen bleibt die Frage, wer sich 1960 mitten im Daimler-Ländle ein aufgeschnittenes Isabella Coupé gönnt. Es kostet 18 500 D-Mark, mehr als ein Mercedes 190 SL, deshalb kann es eigentlich nur der Borgward-Händler Weiss sein, der so viel Geld in den Werbewert der raren Karosserie von Karl Deutsch in Köln investiert. Aber das kann es wirklich nicht mehr erzählen, das Foto aus der Plastikkiste. CST

Foto: Archiv Christian Steiger

 

Die Geschichte geht weiter...
und führt uns zurück in der Gegenwart. Am 2.11.2012 erreichte uns folgende E-Mail:

„Guten Tag Herr Steiger, manchmal schlägt der Zufall zu. Anbei ein Foto von meinem Coupé beim Solitude Revival 2011 – 51 Jahre später am selben Ort. Gruß Werner Gühring“

Das sind die Geschichten, die wir lieben! Vielen Dank, Werner Gühring.